Thursday, March 28, 2024

Nicht gemocht und doch gebraucht

Der neue US-Präsident ignoriert bislang den israelischen Premier. Doch Biden braucht Netanjahu – und umgekehrt. Auch wenn sie sich nicht mögen.

15. Februar 2021

Von Alexandra Föderl-Schmid

Für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ist es die Höchststrafe, ignoriert zu werden. Er, der sich rühmte, nicht nur eine besondere persönliche Beziehung zu Donald Trump zu haben, sondern dem US-Präsidenten auch die Agenda diktieren zu können, muss warten: auf einen Anruf, auf eine Erwähnung, auf irgendetwas. Drei Monate sind seit der US-Präsidentschaftswahl vergangen, fast vier Wochen seit dem Amtsantritt Bidens. Die Liste der Staats- und Regierungschefs, die aus dem Weißen Haus einen Anruf bekamen, wird jeden Tag länger und länger – und damit die Demütigung Netanjahus größer.

Biden lässt Netanjahu schmoren, und das nicht nur, weil der ein enges Verhältnis zu Trump pflegte. Der jetzige Präsident hat nicht vergessen, dass Netanjahu seinen früheren Chef Barack Obama mehr als einmal düpiert und öffentlich vorgeführt hat. Außerdem hat der israelische Premier Obamas Bemühungen, im vertrackten Nahost-Friedensprozess etwas voranzubringen, schlicht ausgesessen. Mit Netanjahu ist allerdings nach 13 Jahren Amtszeit als Regierungschef weiterhin zu rechnen – auch nach der Parlamentswahl im März.

Netanjahu braucht Biden, und Biden braucht Netanjahu. Es geht zunächst einmal um sehr viel Geld: Israel bekommt rund drei Milliarden US-Dollar pro Jahr an Militärhilfe und zusätzlich jährliche Tranchen aus dem 34-Milliarden-Paket, das Präsident Obama einst für Israel schnürte.

Biden muss Israelis und Palästinenser wieder an einen Tisch bringen
Diese Finanzspritzen kann Biden als Druckmittel einsetzen, um auf Netanjahu einzuwirken und ihn einzufangen. Israels Regierung setzt den Siedlungsbau im Westjordanland auch deshalb mit Vehemenz fort, um dort Fakten zu schaffen. Der von Netanjahu federführend entworfene Nahost-Friedensplan, den Donald Trump vor einem Jahr präsentiert hat, ist Makulatur. Das sollte Biden möglichst rasch öffentlich aussprechen und gleichzeitig die Konturen seines eigenen Planes skizzieren.

Die Anerkennung der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und die Anerkennung der israelischen Hoheit über die Golanhöhen wird Joe Biden wohl nicht mehr zurücknehmen. Es muss ihm aber gelingen, Israelis und Palästinenser wieder an einen Verhandlungstisch zu bringen. Dazu ist auch Druck auf die palästinensische Führung nötig, die sich während Trumps Amtszeit in die für sie bequeme Verweigerungsposition begeben hat. Dass Mahmud Abbas endlich Wahlen angekündigt hat, ist ein Zeichen dafür, dass der palästinensische Präsident reagiert.

Eine Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel ist auch mit Blick auf Iran unabdingbar. Netanjahu wird nicht mehr die Rolle des Einflüsterers spielen können, auf dessen Geheiß hin Trump den Atomvertrag mit Iran gekündigt hat. Trump hinterließ in Syrien durch den Rückzug der USA eine Lücke, die Netanjahu gefüllt hat. Mit seinen verstärkten Angriffen auf iranische Vertreter in Syrien mischt Israel im Nahost-Konflikt militärisch mit. Damit kommt dem Land eine Schlüsselrolle dabei zu, die Iran-Politik des neuen Präsidenten umzusetzen. Und auch die USA müssen bei ihren Aktivitäten im Blick haben, dass Iran Israel als Angriffsziel im Visier haben könnte.

Wegen dieser politischen Verflechtungen werden sich der israelische Regierungschef und der US-Präsident miteinander arrangieren müssen – allen persönlichen Animositäten zum Trotz.

Quelle: Sueddeutsche.de

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